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Grenzverschiebungen des Kapitalismus

Umkämpfte Räume und Orte des Widerstands

Erschienen am 08.03.2010, Auflage: 1/2010
35,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593391502
Sprache: Deutsch
Umfang: 384 S.
Einband: Paperback

Beschreibung

Selbst wenn der weltweite Kapitalismus in der Finanzkrise strauchelt, seine Existenz ist nicht gefährdet. Seit Längerem jedoch löst der Versuch, immer neue Lebensbereiche verwertbar zu machen, wie auch der Rückzug der Investoren aus unrentablen Bereichen soziale Kämpfe aus. Wo sich die Grenzen des Marktes verschieben, kommt es zu neuen Fronten des Kapitalismus. Ob in der zunehmend ökonomisierten Wissenschaft, im Projekt des Grünen Kapitalismus, in Fragen digitalen Eigentums oder bei Einzelnen, die Konsum und Leistung verweigern - kapitalistische Wertschöpfung und Vergesellschaftung trifft öfter als vermutet auf innere Grenzen, auf Eigensinn und Widerstand. In dieser Dynamik liegen die neuen Potenziale der Kapitalismuskritik.

Autorenportrait

InhaltsangabeInhalt Einleitung: Grenzverschiebungen des Kapitalismus Karina Becker, Lars Gertenbach, Henning Laux und Tilman Reitz9 I. Grenzen definieren: Standpunkte der Kritik Grenzüberschreitung als Norm? Zur "Vereinnahmung" von Gegenstrategien im Kapitalismus und den Konsequenzen für eine Soziologie des Widerständigen Silke van Dyk33 Ein Spiel zwischen Nähe und Distanz Formen der Kritik unter nachmetaphysischen Bedingungen Ulf Bohmann, Lars Gertenbach und Henning Laux55 Dagegen sein im System der Neutralisierungen Der Kapitalismus gegen seine Befürworter verteidigt Susanne Draheim und Tilman Reitz75 Autologie, Subversion und der Kapitalismus in den Köpfen Michael Beetz103 II. Grenzen beobachten: Problemzonen kapitalistischer Expansion Wissenschaft ist Arbeit Beschäftigung an der Hochschule - ein blinder Fleck von Hochschulreform und Reformkritik Matthias Neis120 Kapitalismus 2.0 Anne Barron137 Die Überwindung ökologischer Grenzen Die Rolle der ökologischen Kritik in der Dynamik des Kapitalismus Thomas Barth164 Schönheit und die inneren Widersprüche des Kapitalismus Cornelia Koppetsch186 Markt, Gesundheit und eigensinniges Handeln Der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz als umkämpftes Terrain Karina Becker, Ulrich Brinkmann und Thomas Engel202 An den Grenzen der Verwertbarkeit Erschöpfung im flexiblen Kapitalismus Stefanie Graefe229 III. Grenzen setzen, Grenzen verschieben: Eigensinn, Subversion und Widerstand Alchimisten des Widerstands? Lumpen, Pauper und Prekäre im Spiegel antikapitalistischer Kritik Peter Bescherer253 Die Internalisierung des Reservearmeemechanismus Grenztransformationen am Beispiel der strategischen Nutzung von Leiharbeit Hajo Holst und Oliver Nachtwey280 Migration als Ausnahme? Grenzen, Arbeit und Bürgerrechte im globalen Kapitalismus Manuela Bojadzijev300 Der Geist der Askese und die konsumistische Ethik Jens Hälterlein318 Widerspenstige Körper: Kapitalismuskritik im Tanz Vera Trappmann339 Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus revisited Oliver Nachtwey359 Autorinnen und Autoren380

Leseprobe

Grenzverschiebungen des Kapitalismus Einleitung Karina Becker, Lars Gertenbach, Henning Laux und Tilman Reitz 1. Krise des Kapitalismus? Nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise schienen die Zeiten für Kapitalismuskritik günstig: Allerorten war zu hören, dass die Tage des neoliberalen Marktradikalismus gezählt seien, die Forderung nach "mehr Markt und Selbstregulation" klang angesichts des Ausmaßes der Krise wie das naive Motto einer vergangenen Zeit. Gab es vor dem Beinahe-Kollaps der Finanzmärkte, wenn man der vorherrschenden Politik glaubte, keine Alternative zu Freihandel, Standortkonkurrenz und der Ökonomisierung des Sozialen, überstürzten sich jetzt Forderungen nach staatlichen Eingriffen und rekordverdächtige Eilzustellungen von Rettungspaketen. Konnte es davor kaum schnell genug gehen mit der Ausweitung marktförmiger Logik, schien nun ausgemacht, dass der Markt wieder staatlich "gebändigt", "kontrolliert", "beaufsichtigt" und "reguliert" werden muss, um seine Eigendynamik nicht zu sehr von der Gesellschaft zu entkoppeln. Weshalb also nicht weiter gehen, solange der kritische Moment anhält? Wenngleich sich die politische Krisenverarbeitung in der Logik eines "Bastard-Keynesianismus" (Robinson 1974) erschöpft, der vom originären Linkskeynesianismus weit entfernt ist (Schui 2009), sind im Windschatten des zurückkehrenden Staates auch kapitalismuskritische Konzeptionen erneut in die (mediale) Öffentlichkeit gelangt. In jedem Fall herrscht weitgehend Einigkeit, dass die ökonomische Krise strukturelle Ursachen hat, die nicht mit der personalisierenden Kritik bestimmter Berufsgruppen beseitigt sind. Statt einzelner Manager waren es häufig Züge des kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftssystems insgesamt, die in den Parteien und Gazetten attackiert wurden. Die Zeit diagnostizierte den "Ruin des kapitalistischen Heilsversprechens" (25.9.08), die Süddeutsche Zeitung platzierte ihre Serie zum "Kapitalismus in der Krise" ausgerechnet im liberalistischen Wirtschaftsteil, ein Bischof namens Marx hat ein mahnendes Buch über das Kapital veröffentlicht, Ökonomen, Philosophen und Soziologen fordern ein radikales Umdenken. Es sieht mithin so aus, als böte das bewährte Zusammenspiel von Krise und Kritik gegenwärtig ungeahnte Chancen. Ein genauerer Blick ins publizistische und politische Feld relativiert diesen Eindruck jedoch rasch - und das nicht erst seit dem Wahlsieg der FDP, in dem man zur Not noch die Angst vor einer "sozialistischen" Krisenbewältigung erkennen könnte. Denn einerseits hatte die neue Kapitalismuskritik zumindest in Deutschland bereits vor dem Ausbruch der Krise einen Höhepunkt erreicht; ihren Hintergrund bildeten steigende Staatseinnahmen, die Erfolge der Linkspartei und der anti-neoliberale Impuls der Bundestagswahl 2005. Andererseits haben sich seit dem Sommer 2008 die Spielräume für politische Phantasie eher verengt. Die Agenda ist - nicht nur in Deutschland - von der hektischen Rettung und Renovierung kapitalistischer Profitwirtschaft dominiert. Eine wirkliche Debatte über ihren Umbau oder ihre Eingrenzung findet nicht statt. Ob mit Hayek und Friedman oder wieder mit Keynes beziehungsweise erhöhten Staatsausgaben, einstweilen behält Jacques Rancières Beobachtung ihre Gültigkeit: "Vom als überkommen erklärten Marxismus übernimmt der als herrschend angenommene Liberalismus das Thema der objektiven Notwendigkeit, die mit den Zwängen und Launen des Weltmarkts gleichgesetzt wird. [] Die absolute Gleichsetzung der Politik mit der Verwaltung des Kapitals ist nicht mehr das beschämende Geheimnis, das die Formen der Demokratie maskieren würden, sie ist die erklärte Wahrheit, mit der sich unsere Regierungen legitimieren." (Rancière 2002: 122) Die Fortdauer dieser "post-politischen" beziehungsweise "post-demokratischen" (vgl. Crouch 2008; Rancière 1997) Konstellation legt nahe, dass der Neoliberalismus keineswegs endgültig abgetreten ist; unterhalb der großen Erklärungen, auf der Gesetzes- und Verwaltungsebene wirkt er weiter, und als Arbeitsgrundlage hat er der Politik eine permanente Krise vererbt, auf die realpolitisch jeweils ad hoc und ohne langfristige Veränderungsperspektiven zu reagieren ist. Die Aufgabe einer engagierten Sozialwissenschaft könnte demgegenüber genau darin liegen, ihre nicht erst 2008 begonnenen Kapitalismusanalysen und -kritiken zu solchen Perspektiven zusammenzuführen. 2. Dynamik und Grenzen kapitalistischer Vergesellschaftung Jenseits der unmittelbaren politischen Reaktionen dürfte die Wirtschaftskrise für viele Beobachterinnen deutlich gemacht haben, wie dynamisch kapitalistische Vergesellschaftung ist. Ökonomische Gleichgewichtstheorien, wie sie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts kursierten und die Nachkriegszeit beherrschten, sind zwar immer noch von keinem anderen Paradigma abgelöst, erscheinen jedoch zunehmend illusorisch und seltsam steril angesichts der krisenhaften Dynamik der immer globaleren Geld- und Warenströme, der ständigen Ausweitung, Neuschaffung und Vernichtung von Märkten. Haltbar scheinen nur Ansätze, die am Kapitalismus dessen konstitutive Dynamik betonen - sei es affirmativ in der Lobpreisung des Unternehmerischen und Kreativen (vgl. etwa Hayek 1968, Kirzner 1978) oder kritisch in der Betonung der blindwüchsigen und exzesshaften Logik des sich selbst verwertenden Kapitals (vgl. Marx, MEW 23: 618, iek 2003: 106ff.). Die zentrale Bewegungsform ist dabei eine der ständigen Expansion. Als Phänomen ist sie kaum zu übersehen; man findet sie in den Erfolgsgeschichten der Konzerne und Start-Ups ebenso wie im offenbar alternativlosen Ziel volkswirtschaftlichen Wachstums, das bereits verringerte Zuwachsraten als Notstand erscheinen lässt. Stark umstritten sind dagegen die Gründe oder "Gesetze" des Wachstums. Die Marxschen und marxistischen Thesen zur Ausbeutung von Arbeitskraft, Akkumulation von Kapital, Erhöhung von Produktivität und fortgesetzten Erschließung neuer Märkte haben dabei den Vorteil der Prägnanz; über wichtige Punkte wie die Bedeutung nichtkapitalistischer Räume herrscht allerdings auch innerhalb dieses Lagers Uneinigkeit. Bereits die Feststellung einer expansiven Dynamik führt jedoch auf unser Thema: die variablen und verschiebbaren "Grenzen des Kapitalismus". Sie bilden offenkundig eine der strukturellen Dimensionen der gegenwärtigen Krise. Zum einen wirft diese Krise erneut die Frage der notwendigen (staatlichen oder gesellschaftlichen) Begrenzung des Kapitalismus auf, und zum anderen lässt sich die kapitalistische Expansionsdynamik als stete Grenzüberschreitung begreifen, die in der Regel krisenhaft wieder eingeholt, zurückgenommen oder reguliert wird. Angesichts der exzessiven Logik des Kapitalismus und der zahlreichen regulierenden Maßnahmen wird jedoch auch deutlich, dass sich solche Grenzen nicht immer problemlos ausfindig machen oder definieren lassen: sie sind nicht nur abhängig von der jeweiligen Regulationsweise des Kapitalismus, sondern auch von politischen Kräfteverhältnissen und spezifischen Formen des Widerstands. In der Geschichte der Kapitalismuskritik wurde der konstitutive Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Grenze auf mindestens drei Weisen begrifflich gefasst: Erstens lassen sich äußere Grenzen benennen, die sich aus der expansiven Dynamik des Kapitalismus herleiten lassen und auf die stete Ausweitung seiner Logik verweisen (vgl. Marx, MEW 25: 255). In der Geschichte der Kapitalismuskritik spielte dies etwa eine Rolle in den Überlegungen zur so genannten "ursprünglichen Akkumulation", in der Krisentheorie Rosa Luxemburgs, den Debatten um die Beziehung zu anderen, vor- und nichtkapitalistischen Wirtschaftsformen sowie den entwicklungspolitischen Dependenz-Diskussionen der siebziger Jahre (die nicht zufällig die Thesen der "ursprünglichen Akkumulation" wieder aufgriffen). Hier erscheint der Kapitalismus als im Wesentlichen expansive und kolonialisierende Kraft, die in verschiedenen Prozessen der Landnahme beständig ihre Grenzen nach außen er...

Inhalt

Inhalt Einleitung: Grenzverschiebungen des Kapitalismus Karina Becker, Lars Gertenbach, Henning Laux und Tilman Reitz9 I. Grenzen definieren: Standpunkte der Kritik Grenzüberschreitung als Norm? Zur "Vereinnahmung" von Gegenstrategien im Kapitalismus und den Konsequenzen für eine Soziologie des Widerständigen Silke van Dyk33 Ein Spiel zwischen Nähe und Distanz Formen der Kritik unter nachmetaphysischen Bedingungen Ulf Bohmann, Lars Gertenbach und Henning Laux55 Dagegen sein im System der Neutralisierungen Der Kapitalismus gegen seine Befürworter verteidigt Susanne Draheim und Tilman Reitz75 Autologie, Subversion und der Kapitalismus in den Köpfen Michael Beetz103 II. Grenzen beobachten: Problemzonen kapitalistischer Expansion Wissenschaft ist Arbeit Beschäftigung an der Hochschule - ein blinder Fleck von Hochschulreform und Reformkritik Matthias Neis120 Kapitalismus 2.0 Anne Barron137 Die Überwindung ökologischer Grenzen Die Rolle der ökologischen Kritik in der Dynamik des Kapitalismus Thomas Barth164 Schönheit und die inneren Widersprüche des Kapitalismus Cornelia Koppetsch186 Markt, Gesundheit und eigensinniges Handeln Der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz als umkämpftes Terrain Karina Becker, Ulrich Brinkmann und Thomas Engel202 An den Grenzen der Verwertbarkeit Erschöpfung im flexiblen Kapitalismus Stefanie Graefe229 III. Grenzen setzen, Grenzen verschieben: Eigensinn, Subversion und Widerstand Alchimisten des Widerstands? Lumpen, Pauper und Prekäre im Spiegel antikapitalistischer Kritik Peter Bescherer253 Die Internalisierung des Reservearmeemechanismus Grenztransformationen am Beispiel der strategischen Nutzung von Leiharbeit Hajo Holst und Oliver Nachtwey280 Migration als Ausnahme? Grenzen, Arbeit und Bürgerrechte im globalen Kapitalismus Manuela Bojadžijev300 Der Geist der Askese und die konsumistische Ethik Jens Hälterlein318 Widerspenstige Körper: Kapitalismuskritik im Tanz Vera Trappmann339 Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus revisited Oliver Nachtwey359 Autorinnen und Autoren380

 

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